Jens Berger und ich haben uns für unseren nächsten Kurs bei der Deutschen Schülerakademie (DSA), 2019 in Torgelow ein Thema vorgenommen, das wissenschaftlich bisher wenig beachtet wurde: Rezepte und Kochbücher.

Rezepte antworten deutlich auf einfache Fragen: Wieviel? Wie lange? Wie heiß? Tritt man nachdenklich vom Herd zurück, erkennt man: Sie setzen aber auch viel voraus. Man muss wissen, was „gut einfetten“ bedeutet, Geräte besitzen und bedienen können und sich die Zutaten leisten können. Kochbücher sind eng verwoben mit Bildung, Milieus und Identitäten, Machtstrukturen und Trends, Welthandel, Tagesabläufen und Gastfreundschaft.

Der Kurs dreht den Spieß um: Statt Anweisungen rührend naiv zu befolgen, lotet er ihre Hintergründe aus. Zwischen Interpretationsforschung, Ernährungswissenschaft, Kulturgeschichte, Wissenssoziologie und historischer Soziolinguistik soll die Analyse kulinarischer Texte wissenschaftliche Früchte tragen.

Zunächst werden dazu mittels wissens- und sprachtheoretischer Ansätze (Waldenfels, Sennett u. a.) Bedingungen und Strategien des Explizierens untersucht. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Zusammenhang zwischen Wissen und Tun. Auch die zentralen Themen (Identität, Macht etc.) werden theoretisch erschlossen.

Zweitens inspiziert der Kurs kulinarische Texte aus verschiedenen Kulturen, von antiken Autoren wie Apicius über mittelalterliche Kräuterbücher und frühe „Gastrosophen“ (Rumohr, Brillat-Savarin etc.) bis zu Kochbibeln der Moderne und Promikoch-Blogs, geschrieben für so unterschiedliche Leser wie die Kaltmamsell am Fürstenhof über die Hausfrau am Nachkriegsherd bis zum WG-Bewohner beim Katerfrühstück. Europäische Texte – auch über „exotische“ Speisen und Nationalküchen – stehen im Mittelpunkt; Exkurse in andere Traditionen sind je nach Teilnehmerinteresse und -erfahrungen erwünscht. Die Textanalyse fragt: Was zeichnet Kochbücher aus, die die Industrie schrieb? Welche Rolle spielen Illustrationen? Was unterscheidet Texte zum regulären Schweinebraten in Frankreich um 1770, im Wien um 1900 und als Blogeintrag 2017?

Praktische Übungen überprüfen drittens die Tauglichkeit theoretischer Ansätze und konkreter Anweisungen. Was konnte früher ungesagt bleiben, müsste aber heute ausformuliert werden? Der Kurs formuliert auch selbst Rezepte, zum Beispiel für einen „Super easy vegan Sushi Burger“ für Leser im Alten Rom und für getrüffelte Gänsestopfleberpastete im Buch „Kochen für blutige Anfänger“.

Mehrgleisig erkundet der Kurs so, was kulinarische Texte wollen und welche Welt ihnen zugrunde liegt. Denn man könnte die ganze Weltgeschichte nur in Rezepten erzählen. Brühwarm!

Die Vorbereitungen für die DSA 2019 in Torgelow laufen auf Hochtouren — wir freuen uns schon riesig, nachdem es letztes Jahr in Waldenburg so ein Spaß war!